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Mahnmal und Zeitdokument!

05.02.2019 13:36

Im Trau- und Sitzungssaal des Telfer Rathauses hängt seit kurzem eine Texttafel, die auf die Geschichte des mit wuchtigen geschnitzten Deckenbalken ausgestatteten Raumes hinweist. Eine weitere Tafel im Eingangsbereich erklärt die im selben Stil gehaltene Fassade des Rathauses. Die Texte erläutern, dass es sich bei beiden Gestaltungen um propagandistische Relikte der NS-Zeit handelt und dass man die Erhaltung der denkmalgeschützten Objekte auch als Zeichen und Mahnung gegen die menschenverachtende Ideologie betrachtet, die sie hervorgebracht hat.

Bürgermeister Christian Härting erklärte anlässlich der Anbringung der Tafeln: „In letzter Zeit hatten wir mehrfach Anfragen von Menschen, die sich für die spezielle Ausstattung des Trausaals interessierten und teilweise davon irritiert waren. Mit diesen Texten ist unser Standpunkt klargelegt. Sie erläutern, warum es wichtig ist, den Saal und die Rathausfassade zu erhalten. Beide sind eine nötige Erinnerung und Mahnung an die dunklen Zeiten von Diktatur und Gewalt, die unsere Großelterngeneration erlebte. Zugleich sind sie ein für Tirol einzigartiges zeitgeschichtliches Denkmal – wenn auch eines, auf das wir bestimmt nicht stolz sein können.“

Der Text im Trausaal lautet: „Der Trau- und Sitzungssaal entstand 1938/39, unmittelbar nach dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich. Damals gestalteten die nationalsozialistischen Machthaber den historischen Gasthof „Bräuhaus“ zum Rathaus um. Sie errichteten einen Repräsentationsbau, der zu den wenigen in Tirol erhaltenen Baudenkmälern im Geist der nationalsozialistischen „Blut und Boden“-Ideologie gehört. Die holzbildhauerischen Arbeiten führte Hans Obleitner (1893-1984) aus. Die teils in Runenschrift in die Deckenbalken eingeschnitzten Zitate sind Zeugnisse des macht- und gewaltverherrlichenden nationalsozialistischen Wertesystems. Anfang der 1980er-Jahre, als der gleichzeitig entstandene Rathaussaal abgebrochen wurde, entschied man sich bewusst dafür, neben der Fassade des Rathauses auch den Trausaal als Baudenkmal einer für Österreich und die Welt verhängnisvollen Epoche in seiner historischen Substanz zu belassen.
Die Marktgemeinde Telfs bekennt sich dazu, diesen Raum als Zeitdokument und Mahnmal gegen rassistische, totalitäre und menschenverachtende Ideologien auch für zukünftige Generationen zu erhalten.“

Die Texttafel im Eingangsbereich des Rathauses enthält eine ähnliche Klarstellung. Zum architekturhistorischen Hintergrund des Rathauses und speziell seiner Fassade wird in der Texttafel festgehalten: „Das Rathaus von Telfs wurde Anfang des 17. Jahrhunderts als Gasthof errichtet. Später beherbergte das Gebäude auch eine Brauerei. 1938/39, nach dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich, gestaltete der Architekt Richard Dagostin das ehemalige „Bräuhaus“ im Auftrag der neuen Machthaber zum Rathaus um. Es entstand ein für den Alpenraum prototypischer Repräsentationsbau des NS-Regimes. Insbesondere die Fassade mit ihren Schnitzereien und ihrem Figurenschmuck von Hans Obleitner (1893-1984) kann als Beispiel für den damals herrschenden Architekturstil im Geist der nationalsozialistischen „Blut und Boden“-Ideologie gelten.“


Im Bild: Die erklärende Texttafel im Trau- und Sitzungssaal.

Fotos unten:

1. Die geschnitzten Deckenbalken im Trausaal tragen Inschriften, z. T. in Runenschrift. Hier sind Teile der Sprüche „Wo ein Wille, ein Weg“ und „Du bist nichts, dein Volk ist alles“ zu lesen.

2. Die Texttafel im Eingangsbereich des Rathauses weist auf die Historie der Fassade hin.

3. NS-zeitlicher Figurenschmuck an der Fassade: Hitlerjunge, BDM-Mädchen und „deutsche Mutter“. Das Hakenkreuz in der Fahne wurde bereits in der ersten Nachkriegszeit durch einen Tiroler Adler ersetzt.

(Fotos: MG Telfs/Dietrich)